„Einer für alle – alle für einen“: Warum wir beim Impfen auch an andere denken sollten
Liegt in dem alten Musketier-Prinzip der Schlüssel für eine höhere Bereitschaft zum Impfen? Dieser Frage sind Wissenschaftler der Universität Erfurt und der RWTH Aachen in einer kulturvergleichenden Studie nachgegangen. Die Ergebnisse sind nun in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature Human Behaviour“ erschienen.
Wer eine wichtige Entscheidung treffen muss, erstellt gern eine Pro- und Kontraliste, die seine Entscheidung erleichtern soll. Für viele ist dies auch ein Weg, sich über die eigene Grippeimpfung oder die Masernimpfung seines Kindes klar zu werden. Auf der Pro-Seite steht der eigene Infektionsschutz, den man durch die Impfung erhält. Auf der Kontra-Seite stehen beispielsweise mögliche Nebenwirkungen oder die Wartezeit in der Arztpraxis. Doch es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt zu berücksichtigen wie jetzt das Forscherteam um PD Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt und Prof. Dr. Robert Böhm von der RWTH Aachen in einer Forschungsarbeit belegt: Die individuelle Impfentscheidung hat auch einen gesellschaftlichen Nutzen. Denn jede Impfung trägt dazu bei, dass sich eine Krankheit weniger in der Gesellschaft ausbreiten kann. Vielen Menschen ist dies nicht bewusst: Wenn sich genügend Personen in einer Gesellschaft für eine Impfung entscheiden, können auch Nicht-Geimpfte wie chronisch Kranke oder Säuglinge geschützt werden. In diesem Fall spricht man von Gemeinschaftsschutz oder Herdenimmunität. Handeln viele Menschen nach der Maxime „Einer für alle – alle für einen!“, können Krankheiten sogar ausgerottet werden.
In der kulturvergleichenden Studie untersuchten die Forscher aus Erfurt und Aachen, wie das Wissen über Gemeinschaftsschutz die Impfentscheidung beeinflusst. In einem Online-Experiment wurden dabei Personen in den Niederlanden, den USA, Korea, Deutschland, Vietnam und Hong Kong befragt. Die Teilnehmer erhielten entweder einen Text oder eine interaktive Simulation, die das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes erklärten. Andere erhielten hierzu keine Informationen. Danach sollten sich die Teilnehmer für oder gegen eine fiktive Impfung entscheiden.
Die Ergebnisse der Studie waren eindeutig: Die Impfbereitschaft war höher, wenn das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes erklärt wurde. „Aufklärung über den Gemeinschaftsschutz führt dazu, dass wir bei unserer Entscheidung auch mehr an andere denken“, erläutert Cornelia Betsch. Der Effekt habe sich vor allem in westlichen Ländern, also auch in Deutschland, gezeigt. In Asien sei die Impfbereitschaft generell höher gewesen, da dort Entscheidungen ohnehin eher mit Blick auf das Gemeinwohl getroffen würden. „Über Gemeinschaftsschutz zu informieren, gehört für uns zu einer guten Impfaufklärung dazu“, resümiert Robert Böhm. „Dadurch wird klar, dass Impfen nicht nur eine Entscheidung für mich oder mein Kind ist, sondern Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft hat.“
Zusammen mit Dirk Brockmann vom Robert Koch-Institut haben die Wissenschaftler nun auch eine interaktive Simulation entwickelt, mit der jeder das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes selbst erleben kann. Diese ist unter www.musketierprinzip.de online verfügbar. Den vollständigen Artikel aus dem Fachmagazin „Nature Human Behaviour“ finden Sie unter hier.