Bemerkt haben wir den Fachkräftemangel schon im Jahr 2015. Unserer Tochter Maxi* wurde 2015 mit einem komplexen Herzfehler mit vielen Nebenbaustellen geboren und musste mehrere Monate auf der Kinder-Intensivstation liegen.
Dort wurde teilweise „Tetris“ mit den Patienten gespielt, das heißt, dass kleine Patienten zwischen der Intensivstation und der IMC**-Station hin und her verlegt wurden, wenn Notfälle eintrafen. Da ging es scheinbar nach dem Motto: wer ansatzweise stabil ist, muss erstmal den Platz aufgeben, um hinterher wieder zurück verlegt zu werden. Die Kinder-Intensivstation musste schon zu der Zeit ganze Räume schließen, da kein Personal diese hätte bewachen können.
2016 hatte unsere Tochter eine Operation und da ging es ihr danach nicht gut. Es hat eine Woche gedauert, bis sich wirklich mal jemand unserer annehmen konnte. Denn ich habe tagelang darauf bestanden, dass sich jemand noch mal genauer anguckt, was da nicht stimmt. Das Pflegepersonal war aber zu gestresst, mal genauer zu zuhören oder zu gucken. Dann sollten wir entlassen werden und dann erst wurde festgestellt, dass tatsächlich etwas nicht stimmt: Meine Tochter hatte einen Gefäßverschluss an der Lunge und musste erneut operiert werden. Leider blieb diese Re-Operation weitestgehend erfolglos, da sie hätte viel früher durchgeführt werden müssen! Das wäre sicher nicht passiert, wenn das Personal nicht so maßlos überlastet gewesen wäre.
Unser Kind wird nach der Geburt direkt auf die Intensivstation gebracht, voller Kabel und Zugänge.
Ich möchte auch die furchtbare Situation, die Eltern durchleben müssen, erwähnen. Man muss sich das mal vorstellen: man bekommt ein Kind, das nach der Geburt direkt auf die Intensivstation gebracht wird, voller Kabel und Zugänge. Und niemand hat Zeit, sich damit zu befassen, den Eltern zu erklären, was genau da passiert.
Alles muss schnell gehen, Dinge werden vergessen, teilweise falsche oder falsch dosierte Medikamente werden gebracht und fast verabreicht (das konnte ich zwei Mal [allerdings auf der IMC-Station] in letzter Minute durch aufmerksame und kritische Beobachtung verhindern!).Teilweise leiden die Kinder länger als nötig, z.B. an einem nicht mehr richtig sitzendem Tubus, der die Nasenflügel schon fast aufreißt, da niemand Zeit hat, sich schnell der Situation anzunehmen – weil eben andere Kinder in noch größerer Not sind!
Eltern möchten sich nicht ausmalen, wie viele schwerwiegende Fehler passieren.
Man steht als Eltern da zwischen Verzweiflung, Wut und dem Versuch, Verständnis für das überlastete Personal aufzubringen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viele schwerwiegende Fehler passieren.Aber nun zum wichtigsten Punkt, der aktuellen Operationsplanung. Unsere Tochter hat einen sehr komplexen Herzfehler, sie bekommt einen Einkammerkreislauf. Dieser ist auf eine sehr gute Lungenfunktion angewiesen. Zusätzlich hat sie noch eine Lungenerkrankung. Das bedeutet, die Voraussetzungen sind bei ihr eh schon nicht die besten. Im Herbst/Winter leidet sie gehäuft an Lungenentzündungen. Das erschwert es dem Herzen zusätzlich.
Nun wurde besprochen, dass sie in jedem Fall diesen Sommer die vorerst letzte große Herz-Operation haben sollte, weil weder im Herbst/Winter- wegen der Infektanfälligkeit – operiert werden sollte, noch die Option besteht, bis zum nächsten Jahr zu warten. Denn es geht ihr einfach schon zu schlecht, daher muss die Operation nun zeitnah erfolgen! Unser lange geplanter OP-Termin im August 2018 wurde spontan wenige Tage vorher abgesagt (trotz mittlerweile wochenlanger Antibiotikum-Gabe, zur OP-Vorbereitung!). Einen Alternativ-Termin gibt es noch nicht. Es sind einfach zu viele Neugeborene und Notfälle dazwischengekommen. Mittlerweile stehen wir nach langer Diskussion auf einer Warteliste. Das bedeutet, wir müssen flexibel und spontan genug sein, um nach dem Anruf einen Tag später im Herzzentrum anzukommen.
Was das alles für unseren Alltag bedeutet:
Ich als Mutter muss nun zum dritten Mal meinen angestrebten Ausbildungsbeginn verschieben, auf ein unklares Datum. Fraglich ist, ob ich die Stelle seitens des Betriebes nach diesem Hin-und Her überhaupt noch antreten darf.
Mein Partner hat nach seinem demnächst abgeschlossenen Studium nun schon einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Das heißt, er muss sich als Berufseinsteiger beweisen, hat eine sechsmonatige Probezeit. Das zu verschieben wäre allein schon für unsere finanzielle Situation dramatisch.
Aber nicht bei seinem Kind sein zu können, wenn es eine schwere und große Herzoperation hat, ist nicht leicht zu verkraften. Es bringt einfach alles durcheinander und sorgt für schlechtere Bedingungen bei Kindern, die eh schon mit wirklich schweren Erkrankungen leben müssen. Von der emotionalen Belastung für die ganze Familie mal ganz abgesehen.
Durch diese Umstände ist es Eltern kranker Kinder stark erschwert bzw unmöglich gemacht, beruflich Fuß zu fassen oder eben nicht den Anschluss zu verlieren. Ich kenne einige Elternteile, die durch dieses Chaos ihren Job aufgeben mussten oder, so wie wir, evtl. gar nicht antreten konnten. Teilweise werden wichtige Operationen nämlich über mehrere Monate immer wieder spontan(!) verschoben.
Diese ganze Situation macht nicht nur das Personal krank, sondern auch die Betroffenen! Oft bleibt dem Personal keine Zeit, sich außerhalb der Besuchszeiten der Eltern darum zu kümmern, dass die Baby trinken lernen. Durch die Besuchszeiten konnten wir das Füttern der Kleinen nicht durchgehend übernehmen. Da das Personal keine Zeit dafür hatte, wurde sie die restliche Zeit des Tages über eine Sonde in der Nase ernährt. Dadurch hat sie das Trinken ganz aufgegeben und wir hatten bis zu ihrem ersten Lebensjahr diese Sonde. Es hat uns viel Zeit und Arbeit gekostet, unserer Tochter Essen und Trinken zu lehren, denn damit wird einem im Krankenhaus nicht geholfen. Dafür hat niemand Zeit.
* (Name geändert)
**Intermediate Care: „Zwischenlösung nach Intensiv- und vor Normalstation“